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„Die Anerkennung bekommt jemand über mir“ – Warum stille Leistungsträger nicht länger unsichtbar bleiben sollten

von Kai Adler,

Ein gutes Drittel der Bevölkerung gilt als introvertiert, dennoch bestimmen überwiegend die Lauten unseren Alltag. Wer Karriere machen möchte, muss auffallen – dieses Klischee prägt unser Denken über beruflichen Erfolg. Doch sind es oft nicht die Lauten, sondern die stillen Leistungsträger, die eine Organisation nachhaltig erfolgreich machen. Sie erledigen ihre Aufgaben zuverlässig, gründlich und effizient. Trotzdem bleibt ihre Leistung oft unbemerkt und die Anerkennung geht häufig an andere (Telser & Stiens, 2025; Kullmann, 2015).

Warum werden Introvertierte so häufig übersehen? Der Idealmensch unserer Zeit erscheint gesellig, durchsetzungsstark und präsent – ein Charismatiker. Er arbeitet gern im Team, pflegt intensive soziale Kontakte und nutzt sogar ruhige Momente, um sich über Social Media sichtbar zu machen. Hauptsache, nicht allein sein (Kullmann, 2015). In diesem Umfeld haben es Introvertierte schwer, sichtbar zu werden, da ihre Zurückhaltung häufig falsch interpretiert wird. So wirken sie oft schüchtern oder unsicher, obwohl Introversion eigentlich nur bedeutet, soziale Interaktionen in kleineren Dosierungen zu bevorzugen, um Überreizung zu vermeiden (Kullmann, 2015).

Susan Cain, Autorin des Bestsellers „Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt“, weist eindringlich darauf hin, dass Introvertierte aufgrund gesellschaftlicher und beruflicher Ideale häufig benachteiligt werden. Cain, selbst introvertiert und ehemalige Anwältin an der Wall Street, unterstreicht dabei besonders die Stärken der Introvertierten: Sorgfalt, gute Beobachtungsgabe, analytische Fähigkeiten und Konzentrationsfähigkeit – Eigenschaften, die in der modernen Arbeitswelt unverzichtbar sind (Cain, 2015; Kullmann, 2015).

Persönlichkeitsexpertin Sylvia Löhken ergänzt diese Sichtweise: Sie betont, dass introvertierte Mitarbeiter aufgrund ihrer gründlichen Analyse, ihrer reflektierten Denkweise und ihrer intensiven Vorbereitung häufig besonders wertvolle Konzepte entwickeln. Für Unternehmen empfiehlt sie ausdrücklich gemischte Teams. Introvertierte bringen hierbei analytische Tiefe ein, während Extrovertierte deren Ergebnisse effektiv kommunizieren und sichtbar machen können (Kullmann, 2015).

Ein historisches Beispiel für solch erfolgreiche Kooperation war die Zusammenarbeit von Steve Jobs (verstorben 2011) und Steve Wozniak: Während Wozniak als introvertierter Entwickler die innovativen Ideen schuf, brachte Jobs sie mit extrovertierter Überzeugungskraft auf den Markt (Kullmann, 2015).

Doch wie können Unternehmen stille Talente gezielt fördern und sichtbarer machen?

  • Meeting-Kultur anpassen: Themen frühzeitig kommunizieren, sodass sich Introvertierte gut vorbereiten können.
  • Raum für Reflexion schaffen: Genügend Zeit einplanen, um durchdachte Beiträge und Lösungen entstehen zu lassen.
  • Gezieltes und ehrliches Feedback geben: Persönliche und authentische Anerkennung in kurzen Gesprächen stärkt nachhaltig die Motivation (Telser & Stiens, 2025; Dutine, 2019).

Adam Grant, Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania, weist zudem darauf hin, dass introvertierte Führungskräfte besonders effektiv sind, wenn Eigeninitiative und konstruktive Vorschläge im Team gefördert werden sollen. Denn diese Führungspersönlichkeiten stellen weniger sich selbst in den Mittelpunkt, sondern fördern aktiv die Ideen ihrer Mitarbeiter (Kullmann, 2015; Telser & Stiens, 2025).

Für Unternehmen lohnt es sich daher, Introvertierte bewusster wahrzunehmen und ihre Beiträge wertzuschätzen. Wenn die stillen Leistungsträger angemessen berücksichtigt werden, entstehen starke Teams und langfristiger Erfolg.

Quellen:

  • Cain, S. (2015). Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt.
  • Dutine, F. G. (2019). Extraversion: Eine Frage guter Führung? FOM Hochschule für Oekonomie und Management.
  • Kullmann, K. (2015, Juli 20). Leise Töne, starke Wirkung. SPIEGEL.
  • Telser, F., & Stiens, T. (2025, März 17). Die Anerkennung bekommt jemand über mir. Handelsblatt, Rubrik Karriere.

 

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